Auch wenn sein Name in den letzten Wochen doch immer wieder einmal gefallen ist, hatten ihn wohl die Wenigsten wirklich auf der Liste. Die Schwedische Akademie in Stockholm hat an diesem Donnerstag den Literaturnobelpreis 2014 Patrick Modiano zugesprochen. Gehandelt wurden, neben Dauerkandidaten wie dem japanischen Romancier Haruki Murakami, auch der albanische Autor Ismail Kadare, der norwegische Dramatiker Jon Fosse, sodann Ali Ahmad Said, also der unter dem Alias Adonis veröffentlichende Lyriker syrischer Abstammung, der auf Arabisch und Französisch publiziert (Peter Handke, gleichfalls Anwärter auf den arg noblen Preis, hat Adonis für Jung und Jung in Salzburg ins Deutsche gebracht).
Mit der Algerierin Assia Djebar (Unionsverlag, Zürich) war auch eine Frau im Gespräch als Nachfolgerin von Alice Munro (Dörlemann, gleichfalls Zürich). Dass Bob Dylan oder Philip Roth, Richard Ford oder Thomas Pynchon die Auszeichnung bekommen würden, galt als eher unwahrscheinlich, da seitens der schwedischen Altherrenrunde in den letzten Jahren eine gewisse US-amerikanische Antipathie zu spüren war.
Als Favorit galt, wenn man dem britischen Wettbüro Ladbrokes folgt, außer Murakami der Kenianer Ngugi Wa Thiong'o. Der 1945 in Boulogne-Billancour geborene Patrick Modiano ist es nun geworden, nach Jean-Marie Gustave Le Clézio der zweite Literaturnobelpreisträger der letzten Jahre aus Frankreich. Mit Le Clézio rechnete 2008 kaum jemand, mit Modiano jetzt die, wie man im Englischen sagt, „happy few“, die wenigen Glücklichen. Zu diesen Glücklichen zählte und zählt, naturgemäß neben Modiano selbst, Jo Lendle. Lendle hat im Januar die Nachfolge von Michael Krüger als Chef des Hanser Verlages angetreten, sozusagen die deutschsprachige Heimat der Inhaber des bedeutendsten Literaturpreises.
Mit Modiano hat das Münchner Verlagshaus seit 1960, als die Auszeichnung an den Lyriker Saint-John Perse (auch er ein Franzose, aus Guadeloupe) ging, jetzt insgesamt sechzehn Literaturnobelpreisträger im Programm, etwa Eugenio Montale (1975), Elias Canetti (1981), 1987, 1992, 1995 dann Brodsky, Walcott und Heaney, also drei sprachmächtige Dichter englischer Zunge. Der Türke Orhan Pamuk ist Preisträger von 2006, und daran anschließend wurden in ganz dichter Folge die bereits angeführten Le Clézio, Herta Müller, Thomas Tranströmer und der Chinese Mo Yan (das war vor zwei Jahren) bedacht, und jetzt, nachdem Hanser 2013 pausierte und mit der kanadischen Erzählerin Munro Dörlemann den Vortritt ließ, Patrick Modiano.
Verleger Lendle hat auf der Frankfurter Buchmesse bereits angekündigt, Modianos vor zwei Jahren bei Gallimard in Paris erschienenen Roman „L’Herbe de nuits“ vorzuziehen und schon in den kommenden Tagen herauszubringen. „Gräser der Nacht“ handelt von einem Schriftsteller, der sich 2012 anhand eines schwarzen Notizbuches auf die Spuren der sechziger Jahre begibt und die Künstlerviertel und Cafés wieder lebendig macht, das Universitätsviertel, den Montparnasse, das berühmte Rive Gauche, das als Viertel der Intellektuellen und Kreativen geltende linke Seine-Ufer.
„Für die Kunst der Erinnerung, mit der er die unbegreiflichsten menschlichen Schicksale wachgerufen und die Lebenswelt während der Besatzung sichtbar gemacht hat“, ist der neunundsechzigjährige Verfasser von schmalen, in einer klaren Sprache verfassten Romanen und Kinderbüchern ausgezeichnet worden, ließ Peter Englund, der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, am Donnerstag verlauten. Das Lob der Jury galt Modianos „sehr eleganten Büchern“, die nicht schwer zu lesen seien.
Rund zweieinhalb Dutzend Bücher hat Modiano, „ein Marcel Proust unserer Zeit“, so Englund, seit seinem Debut von 1968 vorgelegt. „Place de l’Étoile“ (nach der revidierten Version von 2004 unter diesem Titel bei Hanser erschienen, übersetzt von Elisabeth Edel) ist ein funkelndes Erstlingswerk über das von den Deutschen besetzte Paris, eine fingierte Autobiographie über die französischen Hauptstadt in Zeiten des Nationalsozialismus, dessen Protagonist Raphael Schlemilovitch bei Sigmund Freud auf der Couch landet.
Einen ersten größeren Erfolg in Deutschland feierte Modiano mit dem von Peter Handke noch für Suhrkamp übersetzten Band „Eine Jugend“. Man kennt ihn auch als Verfasser des Drehbuchs zu Louis Malles „Lacombe Lucien“ (1974, mit Musik des wunderbaren, von Django Reinhardt und Stéphane Grappelli gegründeten Quintette du Hot Club de France) und des Kinderbuchs „Catherine, die kleine Tänzerin“ mit Illustrationen von Sempé, das 1991 bei Diogenes in Zürich erschienen ist. Durch die hohe schwedische Anerkennung hat Modiano nun endlich die Chance, auch einem breiteren deutschsprachigen Publikum bekannt zu werden.
Die feierliche Verleihung des umgerechnet mit etwa 880 000 Euro dotierten Preises findet am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters und Industriellen Alfred Nobel, in Stockholm statt. Modiano, der als menschenscheu gilt und selten Interviews gibt, widmete die Auszeichnung übrigens seinem schwedischen Enkelsohn, „denn es ist sein Land“. Denis Scheck, den man aus dem ARD-Magazin „Druckfrisch“ kennt, äußerte sich begeistert auf der Buchmesse: „Der Preis geht an einen Autor, der in seinem Werk scheinbar Unvereinbares miteinander verbindet, der ein gleichermaßen souveräner Artist und besessener Archivist ist.“
Foto Copyright © Catharine Hélie / Editions Gallimard